Warum wir Filmstars nackt sehen wollen

von Karen Krizanovich

Jede junge Frau hätte wohl ein mulmiges Gefühl dabei, wenn ihr Vater sie eines Tages nackt in einem großen, bekannten Film sehen würde. In "Lovelace" hat sich Amanda Seyfried trotzdem ausgezogen - weil sie eine professionelle Schauspielerin ist.

In ihrer Rolle als Pornostar Linda Lovelace trug die 27-jährige Seyfried braune Kontaktlinsen, Perücken - und das war's auch schon fast. Vom Hals aufwärts hatte Amanda demnach nichts mehr von dem blonden, blauäugigen Mädchen, das wir aus den Erfolgsfilmen "Mamma Mia!" oder "Lés Misérables" kennen, vom Hals abwärts war sie komplett natürlich.

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Sich auf der Leinwand nackt zu zeigen ist für Schauspielerinnen nach wie vor ein Risiko, aber kein Karriere-Killer mehr, wie es früher einmal einer war. So sagte der anerkannte Kritiker Roger Ebert einst über eine Nacktszene von Sexsymbol Jayne Mansfield: "In 'Promises! Promises!' tat sie schließlich das, was kein Hollywoodstar außer in völliger Verzweiflung jemals getan hat: Sie drehte einen Nacktfilm. 1963 war das der einzige Weg für sie, überhaupt noch Angebote zu bekommen" Wie sich die Zeiten doch geändert haben ...

Markforschungen zeigen, dass sich die Leute dafür interessieren, wenn bekannte Personen sich ausziehen. Man erinnere sich alleine an die Aufmerksamkeit, die Jennifer Aniston für ihren Striptease in "Wir sind die Millers" bekam - dabei war sie nicht einmal nackt. Schauspielkollegin Helen Mirren analysierte, das komme von der Art Gérard Depardieus, die Hosen runterzulassen. "Fleisch verkauft sich. Die Leute wollen keine Bilder von Kirchen sehen, sie wollen nackte Körper." Für sie ist das leicht zu sagen. Zwar stimmt es, dass wir nackte Tatsachen sehen wollen, aber aus anderen überraschenden Gründen ...

Lindsay Lohan nackt in "The Canyons"

Erster Grund: Wir stehen auf die Körper von Promis

Helen Mirren ist 67 und sieht immer noch toll aus. Die "Basic Instinct"-Szene mit Sharon Stone, in der sie ihre Beine übereinander schlägt, ist die Szene, bei der zu Hause am häufigsten Mal auf Stopp gedrückt wurde, Nicole Kidmans Nacktauftritt live auf der Bühne wurde als "schauspielerisches Viagra" betrachtet. Seit den Anfängen der Unterhaltungskultur hat es der Menschheit gefallen, andere nackt zu sehen - nicht nur, weil uns Körper faszinieren, sondern auch deshalb, weil wir gerne vergleichen. Mit der Hilfe von Diäten, Sport und plastischer Chirurgie können wir dem Look der Filmstars nacheifern. Deshalb lieben wir es (heimlich) alle, Schnappschüsse von uns selbst zu machen.

Zweiter Grund: Promis sind nackte Superhelden

Gut auszusehen gehört zum Job einer Schauspielerin. Sie lassen sich professionell die Haare und das Make-up machen, stylen und ausleuchten. Im wahren Leben haben sie Babys, legen an Gewicht zu und altern wie Normalsterbliche. Nacktheit ist eine weitere Ebene, die unsere Idole auf den Boden zurückholt. Auch wenn das unfair ist. Eine Schauspielerin ist kein Model - sie muss auch schauspielerin können. Und wer sagt, dass jemand, der mit Kleidung gut aussieht, automatisch auch gut aussehen muss, wenn er nackt ist? Eine nackte Audrey Hepburn hätte beispielsweise nicht so toll aussehen können. George Clooney wiederum hat ein berühmtes Gesicht, aber wenn er seine Klamotten auszieht und unser Blick abschwenkt, lenkt das möglicherweise von seinem größten Vorzug ab. Nacktheit zeigt uns, dass Prominente am Ende auch nur Menschen sind.

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Dritter Grund: Uns gefällt echte Nacktheit

Wir stehen auf Special Effects und den Zauber des Kinos, aber von Schauspielerinnen erwarten wir, dass sie uns ihre echten Körper präsentieren. Andererseits sind Schauspielerinnen keine Models - natürlich möchten sie nicht, dass wir ihre Unvollkommenheit sehen. Doch eine Schauspielerin, die auf ein Körperdouble zurückgreift, halten wir für eine Art Schummlerin. Wir wollen perfekte Stars, nicht ihre angeheuerten Po-Doubles. Aus diesem Grund sagte Personal Trainer Tracy Anderson auch, dass sie Gwyneth Paltrows "langen Hintern" wegtrainiert habe. Gwyneth, die in "Schwer verliebt" bekanntermaßen in einen Fettanzug schlüpfte, weil sie für die Rolle nicht zunehmen wollte, muss wie jedes menschliche Wesen für ihren Körper trainieren. Das mag nicht so magisch wie die totale Perfektion sein, aber immerhin ist es die echte Gwyneth.

Frauenschwarm Ryan Gosling in "Crazy Stupid Love" (Bild: ddp images)
Frauenschwarm Ryan Gosling in "Crazy Stupid Love" (Bild: ddp images)

Vierter Grund: Nacktheit stellt eine gute Schauspielerin auf die Probe

Sich auszuziehen ist nicht mehr länger ein Zeichen für Verzweiflung: Es ist ein Zeichen von Selbstvertrauen. Glenda Jackson, Julie Christie, Jessica Lange und Angelina Jolie sind alle preisgekrönte Schauspielerinnen, die nackt auf der Leinwand zu sehen waren - häufig in solchen Filmen, für die sie mit Awards geehrt wurden. Erinnern wir uns daran, dass sie nackt waren? Ja, aber vor allem erinnern wir uns an ihre tollen darstellerischen Leistungen.

Wir mögen uns also "Lovelace" im Kino anschauen, weil wir Amanda Seyfried nackt sehen wollen, aber wir werden uns an den Film erinnern, weil sie wirklich gut darin ist. Deshalb würde ein Vater die Entscheidung seiner Tochter, in einem Film alle Hüllen fallen zu lassen, auch total verstehen. Klar: Amanda ist nackt, aber sie ist nackt und großartig.